Die frühen Brezelfeste der Jahre 1911 bis 1914
Die finanzielle Bilanz des ersten Brezelfestes schloss mit Schulden ab. Damals schon verschlangen die prächtigen Brezelfestumzüge beachtliche Summen. Jedoch ermutigte der enorme Erfolg des ersten Bretzeltages auch 1911 weiter zu feiern.
Die Werbetrommel wurde kräftig gerührt und bereits frühzeitig in den Orten der Umgebung, auch im Badischen über dem Rhein ins Auge fallende Werbeplakate aufgehängt und so für das Fest geworben. Aus einem Bretzeltag wurde bereits ein dreitägiges Volksfest. Jetzt erschien 14 Tage vor dem Fest auch eine 16 Seiten umfassende Brezelfestschrift, die sich ”Offizielle Zeitung für den Speyerer Verkehrs- und Bretzeltag” nannte. Darin wurden Gedichte und Berichte über die Brezel neben dem Veranstaltungsprogramm abgedruckt. Die drei Speyerer Aktienbrauereien, Brauerei zum Storchen, Bayerische Bierbrauereigesellschaft vorm. H. Schwartz und die Brauereigesellschaft zur Sonne, vorm. H. Weltz, empfahlen mit einer ganzseitigen Anzeige ihre Biere. Auch eine eigene Festpostkarte wurde herausgegeben.
Das Fest begann jetzt bereits am Samstag Abend 15. Juli 1911 mit einer Bierprobe unter Mitwirkung der Pionierkapelle. Die Speierer Zeitung schrieb dazu, dass der Zweck der Generalbierprobe die Vorbereitung einer richtigen Festesstimmung für den folgenden großen Tag gewesen sei. Der Sonntag, 16. Juli, wurde um 9.00 Uhr mit einem Musikumzug der Kapelle des 60. Infanterie-Regiments aus Weisenburg vom Bahnhof aus durch die Eisenbahnstraße, Ludwigstraße, Große Pfaffengasse, Domplatz, Hauptstraße bis zum Altpörtel eingeläutet. Danach gab es ab 11.00 Uhr Standmusik am Altpörtel und am Marktplatz mit Pionier- und Infanteriemusik, so die Speierer Zeitung in ihrem Bericht vom 17. Juli 1911.
Im Festzug am Nachmittag, dem kein einheitlicher Gedanke zugrunde lag, wurden lokale Ereignisse in humoristischer Form dargestellt. Schon damals beklagte man die fehlende Brücke, die 1939 endlich die Schwimmbrücke ablöste, bereits 1945 aber einer Sprengung zum Opfer fiel. Die Vereine machten mit, wie der Männer-Radfahrer-Verein im Biedermeierstil, der Gärtnerverein und ebenso drei Militärkapellen, denn Speyer war ja Garnisonsstadt. Ferner waren das Museum, der Dom und das Altpörtel im Modell zu sehen. Eine Gruppe zeigte den erfolgreichen Kampf gegen die Schnaken, mit den ”Helden im Kampfe” und einer ”Siegestrophäe”. Die Brezelchristine im Ausmaß von fünf Meter Höhe fuhr im mittleren Teil des Festzuges mit.
Fröhliche Menschen begleiteten den Zug hinunter zum Festplatz, der von nun ab dem Volksfest diente. Für einen Eintrittspreis von zehn oder zwanzig Pfennige wurde einem der Zugang gewährt. Die Haupteinnahmequelle der ersten Brezelfeste waren nämlich die Eintrittsgelder. Der Festplatz wurde mit Seilen abgesteckt und an verschiedenen Eingängen das Eintrittsgeld erhoben. Dafür bekam der Festbesucher ein Festabzeichen. Aber die Speyerer Buben dachten nicht daran, zehn Pfennig locker zu machen. Sie machten sich ein Vergnügen daraus unter den Absperrseilen durchzuschlüpfen. Doch trotz aller ”Unterwanderung” kamen beim Brezelfest im Jahr 1911 immerhin rund 4.000,- Mark durch Eintrittsgelder zusammen.
Der Festplatz lag an der gleichen Stelle wie heute, jedoch war die Topographie eine andere. Der Platz war langgestreckt und im Westen vom Marx Damm (heute Karl-Leiling-Allee), im Norden von der Brückenstraße (heute Klipfelsau), im Osten von einem Wassergraben und im Süden vom Pionierweg (heute in der Form nicht mehr vorhanden) begrenzt. An der Ostseite des Festplatzes, entlang des Wassergrabens, stand seit dem Jahr 1913 die im Jahr 1940 abgebrannte hölzerne Festhalle, welche insbesondere auch bei schlechtem Wetter genutzt werden konnte. Unter den schattenspendenden Bäumen saß es sich angenehm. Auf der linken Hälfte des langgestreckten Festplatzes waren der Reihe nach Eberts Cafe nebst Konditorei, der Glückshafen, der Pavillon der Festleitung, die große gedeckte Weinhalle des Herrn Pfisterer, ein großer Tanzboden, die Wurstbraterei, die Polizei sowie eine Sanitäts- und Feuerwehrstation aufgebaut. Auf der rechten Seite des Festplatzes waren die Bierrestaurants der Storchenbrauerei und die Tribünen der beiden Musikcorps zu finden. Die Feuerwehrkapelle, die laut Zeitungsbericht unermüdlich zum Tanz aufspielte, befand sich wiederum auf der linken Seite beim Turnplatz. Im unteren Teil des Festplatzes waren ein Karussell, Schießbude und Photographiestände eingerichtet. Der größte Teil dieses Areals war jedoch den damals sogenannten Volksbelustigungen vorbehalten. Darunter fielen beispielsweise ein Kletterbaum, Hindernislaufen, Topfschlagen, Eier- und Wassertragen, Sacklaufen, Schaukelpferd und sonstige originelle Spiele.
Auf einem Podium wickelte sich ein kleines Programm ab unter Beteiligung von Turnern und Athleten, von Kunstradfahrern und Sängern. Da wurden Pyramiden gebaut, Bierfässer und schwere eiserne Kugeln gehantelt oder Volkslieder vorgetragen. Den Stein Bier erstand man am Brauereiwagen und nahm noch eine heiße Cervelat samt Brot mit an den Tisch.
Am Sonntag Abend wurde schließlich nach einem Brillantfeuerwerk des Pyrotechnikers Herrn Kilian - es hat sich bis heute gehalten - ein erster Schlusspunkt gesetzt. Montags spielte ab 19.00 Uhr auf dem Festplatz die Pionierkapelle zum Ausklang.
Die Vereinszeitschrift ”Der Pfälzerwald” schrieb über den Festzug und das Fest:
”Der Bretzeltag war vom Glück der Witterung ganz hervorragend begünstigt und so war der Verlauf ein glänzender. Tausende und Abertausende waren aus dem Gau und von überm Rhein gekommen. 170 Hektoliter Bier sollen auf dem Festplatz getrunken und 100.000 Brezeln gegessen worden sein.”
Dank des herrlichen Wetters brachte die Veranstaltung des Jahres 1911 eine erfreuliche Bilanz. Da auch die Bevölkerung der badischen Nachbarorte stark vertreten war, konnten 18.000 Eintrittskarten verkauft und allein am Sonntag 200 Reichsmark Brückengeld eingenommen werden. Die kleineren Kinder abgerechnet, passierten rund 3.000 Personen die Brücke (je 6 Pfennig für zweimaliges Passieren der Brücke). Die Vereinskasse kam somit in Ordnung und die Schuldenlast des Jahres 1910 konnte nicht nur abgetragen, sondern darüber hinaus sogar ein Festüberschuss verbucht werden.
Der Festzug des Jahres 1912 hatte eine einheitliche Idee: ”Verkörperte Lieder”. So lautete beispielsweise das Motto des Wagens mit der Nummer 13 ”In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad”. Diese Aussage bezog sich zu jener Zeit auf den Bauplatz für ein neues Volksbad. Der Wagen mit der Nummer 41 trug die Aufschrift: ”Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht”. Hier wurde auf die Speyerer elektrische Lichtversorgung Bezug genommen. Der Wagen mit der Nummer 44 sprach ein immer noch recht aktuelles Thema an mit der Aussage ”Nur immer langsam voran” was auf die „elektrische Schnellbahn“ Speyer – Mannheim gemünzt war.
Ein Jahr später firmierte der Festzug unter dem Motto ”Speyerer Adreßbuch von 1913” und war wie die Adressbücher seinerzeit in vier Abteilungen gegliedert. Abteilung eins Verzeichnis der Straßen, Abteilung zwei Stände, Gewerbe, Handel und Industrie, Abteilung drei, Verkehr und Abteilung vier, Behörden, Militärwesen, öffentliche Einrichtungen und Wohlfahrtsanstalten. Er umfasste bereits zwanzig Festwagen und fünf Musikkapellen.
Die Programmgestaltung auf dem Festplatz wurde erweitert und die „Speierer Zeitung“ beschrieb das Treiben dort so:
“Obwohl der Festplatz mit Tischen und Bänken dicht belegt war, war in kurzer Zeit kein Sitzplatz mehr zu finden. Auch die große Festhalle, die Weinhalle, die Cafés und Konditoreien waren sofort dicht besetzt und die Bierheben mühten sich mit vorbildlichem Eifer im Schweiße ihres Angesichts ehrlich ab den Durst der Tausend von Männlein und Weiblein zu stillen. Auf dem Tanzboden drehte sich die Jugend unermüdlich in fröhlichem Reigen, auf der Berg- und Talbahn machte man eine lustige Fahrt mit und einen Hauptanziehungspunkt bildete der Glückshafen, in welchem 1.000 Gewinne der Spielenden harrten, darunter Sachen, die viele recht gern gewinnen wollten. Die Jugend ergötzte sich an Volksbelustigungen aller Art; die gewandtesten Jungen erkletterten den Maibaum um sich die an der Krone aufgehängten Preise zu holen. Um ½10 Uhr setzte die Illumination des Festplatzes und der Festhalle ein. Die Konturen der Festhalle waren durch unzählige kleine elektrische ”Birnen” beleuchtet, rotfarbige Lampions umsäumten den weiten Platz und den breiten Fahrweg. Ein reizender, stimmungsvoller Anblick. Und im Hintergrund die blendende Lichtfülle der Berg- und Talbahn”.
Bemerkenswert für das vierte Brezelfest ist, dass bereits 1913 eine elektrische Berg- und Talbahn auf dem Festplatz vertreten war. Dieses Fahrgeschäft rechnet zur Gruppe der Karusselle, die Ende des 19. Jahrhunderts auftauchten. Meist zehn aneinander gefügte Wagen - Automobilen nachempfunden - für rund 13 Personen fahren auf einer auf- und absteigenden Fahrbahn mit einem Durchmesser von rd. 15 Meter. Am ehesten sind diese frühen Karussells mit den heute noch zu sehenden Himalaya Fahrgeschäften zu vergleichen.
Der Speyerer Georg Becker erinnerte sich später einmal an den Festplatz des Jahres 1913 (veröffentlicht im Juli 1977 in der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“):
„(...) Ferner war die zweistöckige Reitschule von Kumpf und Weiler vertreten. Zwei Holzpferdchen wurden herausgenommen und die Reitschulgäule in den Innenring des Karussells geführt, wo sie dann rundgehen mußten. Die kleinere Reitschule des Sauers Ferdnand wurde nicht von Pferden, sondern von kräftigen Buben, die oben unterm Dach Querbalken schoben, angetrieben. Wer fünf Runden schob durfte eine mitfahren“.
Das fünfte und letzte Brezelfest vor dem Ersten Weltkrieg fand vom 11. bis 13. Juli 1914 statt, also gerade 14 Tage nach dem Mordanschlag auf das österreichische Thronfolgerpaar. Den Speyerer Bürgern dürfte zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen sein, dass dieses Ereignis eine schwere politische Krise bringen und wenig später zum Ausbruch des ersten Weltkriegs führen würde, denn die Titelseite der „Speierer Zeitung“ vom Montag dem 13. Juli 1914 berichtete fast ausschließlich vom Brezelfest.
“So haben wir wieder ein großartiges Fest gefeiert, dass den Ruhm unserer Stadt als Feststadt nach außen trägt. Wohl alle Besucher kehrten voll höchster Zufriedenheit Heim, voll freudigen Lobes über das Schöne, daß sie geschaut, und die frohen Genüsse, die ihnen der Tag geboten”.
Das Programm des Brezelfestes wurde immer umfangreicher und die Stadt war voller Musik. Militärmusik und Leichteres wurde mit Pauken und Trompeten produziert auf dem Marktplatz eine Infanterie-Kapelle, in der Maximilianstraße eine Dragoner-Kapelle und am Postplatz die Pionier-Kapelle. Inzwischen waren auch die einzelnen Musikstücke, die die drei Kapellen am Sonntag ab 11.00 Uhr zur Standmusik zum Besten gaben in der Offiziellen Festzeitung abgedruckt, so dass sich jeder sein Lieblingskonzert zusammenstellen konnte.
Der Festzug des Jahres 1914 war abermals einem einheitlichen Thema gewidmet: ”Speyerer Neueste Nachrichten”. Der originelle Umzug trug humoristischen Charakter und umfasste mittlerweile 25 Festwagen und sieben Gruppen. Der gesamte Zeitungsbetrieb, Leben, Meinung und Daten, wurden in humorvollem Gewand vorgeführt und erzielten in ihrer wohlgelungenen Aufmachung allseits frohe Heiterkeit, so die „Speierer Zeitung“ in ihrem Bericht. Am Anfang des Zuges war die ”Spitze des Zuges” zu sehen. Hier liefen oder fuhren wie bereits in den Vorjahren einige Hunde der Rasse ”Spitz” mit. Danach folgten weitere Gruppen zu den Themen Verherrlichung der Buchdruckerkunst, die Redaktion, die Mitarbeiter, der Zeitungsverlag, der Inhalt der Zeitung . Weder die ”Zeitungsenten” noch der ”Kopf der Zeitung” fehlten. Das Redaktionsgeheimnis war symbolisiert durch massive Kaffeebasen, die Kaffeekränzchen aber nicht das Maul hielten. Da wurde die Stadtratswahl ebenso auf die Schippe genommen wie ein Beschluss dieses Gremiums.
Auf dem Festplatz wurden fünf Kapellen, Bier- und Weinrestaurationen, Cafés, Konditorei, Wurst- und Hühnerbraterei, Tanzboden, Volksbelustigungen aller Art und Tontaubenschießen geboten. Damals schon war der Festausschuss karitativ eingestellt. Er veranstaltete mit 1.000 Gewinnen einen Glückshafen zugunsten der städtischen Säuglingsfürsorge.
Anzumerken ist noch, das rund 10 Tage nach dem Brezelfest, am 22. Juli 1914 von den zuständigen Gremien beschlossen wurde, die Brauerei zum Storchen, und die Bayerische Bierbrauereigesellschaft vorm. H. Schwartz zur Schwartz-Storchen-Brauerei zusammenzuschließen.
Der erste Weltkrieg brach bald danach aus und der Verkehrsverein gab seine Rücklagen für nationale Zwecke hin. Nach dem Krieg war zunächst an eine Neubelebung nicht zu denken. Wirtschaftskrisen, Inflation, Besatzungstruppen und politische Wirren verhinderten die Veranstaltung eines Brezelfestes.
Nach fröhlichen Festen stand nun Niemanden mehr der Sinn.